Das zu kurze Zungenband - nicht nur in der Stillberatung ein wichtiges und oft unterschätztes Thema. Welche Folgen kann es haben? Wie erkennt man ein verkürztes Zungenband? Was ist zu tun, wenn man das Gefühl hat, es stimmt etwas nicht? Informationen dazu findet ihr im folgenden Beitrag. Eine individuelle Beratung kann dies natürlich nicht ersetzen. Meldet euch bei mir, wenn ihr unsicher seid!

1. Das anteriore und das posteriore verkürzte Zungenband

Man unterscheidet grundsätzlich zwischen dem anterioren und dem posterioren Zungenband. Das anteriore zu kurze Zungenband beginnt bereits an der Zungenspitze und verursacht daher im Regelfall eine Herzform-Zunge bzw. eine Kerbe in der Zunge. Diese Art des verkürzten Zungenbandes wird bereits meistens im Rahmen der ersten Untersuchungen nach der Geburt festgestellt und auch durchtrennt. Die weniger bekannte Form ist das posteriore zu kurze Zungenband. Dieses beginnt weiter hinten an der Unterseite der Zunge, die Zunge ist im vorderen Teil daher oft völlig unauffällig. Aus diesem Grund bleibt das posteriore Zungenband häufig unerkannt und fällt oft erst im Rahmen von Stillschwierigkeiten oder noch viel später auf. Oder es wird – insbesondere weil in Deutschland noch viel Unkenntnis verbreitet ist – überhaupt nie erkannt. Beide Formen des verkürzten Zungenbandes können jedoch dieselben Einschränkungen der Zungenbeweglichkeit und damit auch dieselben Folgeprobleme verursachen. Auch sollte die Behandlung und Begleitung im Grunde gleich ablaufen.

2. Typische Anzeichen für ein verkürztes Zungenband

Die folgenden Anzeichen können (insbesondere bei Vorliegen mehrerer Anzeichen) auf ein verkürztes Zungenband hindeuten:

a) Beobachtungen beim Kind im Hinblick auf das Stillen:

  • Das Baby will regelmäßig sehr häufig stillen.
  • Das Baby hat Schwierigkeiten richtig anzudocken („Ran-Weg-Verhalten“).
  • Das Baby kann die Brust nicht richtig fassen (nur wenig Brustgewebe, verliert die Brust regelmäßig, saugt nicht effektiv).
  • Das Baby kann gar nicht oder sehr langsam Milch aufnehmen (langes ineffektives Stillen).
  • Das Baby macht Schnalz- oder Klicklaute beim Stillen.
  • Weißer Belag im hinteren Teil der Zunge.
  • Die gesamte Stillsituation ist schwieirg und angespannt.
  • Das Baby zeigt problematische Gewichtsverläufe (typisch: nach der Geburt normale Zunahme, dann langsam die eigene Gewichtskurve nach unten verlassend; nach der Geburt und 4-6 Wochen im Anschluss normale Zunahme, dann langsam die eigene Gewichtskurve nach unten verlassend; nach der Geburt normale Zunahme, im Anschluss normale Zunahme nur durch Zufütterung; nach der Geburt normale / geringe Zunahme und anschließend auffällige Zunahme (eher selten)).

b) Beobachtungen bei der Mutter im Hiblick auf das Stillen:

  • Schmerzende Brustwarzen / Entzündete Brustwarzen.
  • Die Brust wird beim Stillen nicht wesentlich entleert (wird nicht weicher).
  • Verformte / gequetschte Brustwarzen.
  • Keine genügende Milchbildung direkt nach der Geburt oder in den Wochen / Monaten nach der Geburt (auch wenn zu Beginn die Milchbildung noch ausreichte).
  • Pumpen erforderlich um Milchbildung anzukurbeln / aufrechtzuerhalten.
  • Milchstau / Mastitis.

c) Weitere Beobachtungen beim Kind (unabhängig vom Stillen):

  • Trinken aus der Flasche beeinträchtigt (das Kind kann kein Vakuum halten; Sauger kann leicht aus dem Mund gezogen werden; das Kind kann nur aus Saugern trinken, aus denen die Milch ohne Zutun „fließt“; das Kind verliert Milch im Mundwinkel; Flaschenmahlzeiten dauern sehr lang / sind sehr anstrengend für das Kind).
  • Essen fester Kost ist beeinträchtigt (das Kind isst schlecht; es würgt, das Kind kann nur Essen in Breiform aufnehmen; das Kind kann die Nahrung nicht im Mund halten).
  • Das Baby hat einen Reflux / übergibt sich oft nach dem Stillen / Essen.
  • Häufiges Aufstoßen und / oder Schluckauf.
  • Starke Blähungen.
  • Das Baby zeigt das typische Verhalten eines „Schreibabys“: Es weint sehr viel, ist sehr unruhig und lässt sich kaum beruhigen. Es schläft schlecht und nur in bestimmten Positionen (oft die aufrechte Trageposition).
  • Das Baby ist sehr zurückgezogen und eher „pflegeleicht“.
  • Insgesamt haben die Eltern das Gefühl es stimme etwas nicht mit dem Kind.
  • Bei älteren Kindern kommen häufig Beobachtungen wie Zahnfehlstellungen, untypische Kieferentwicklungen, Rücken- und Nackenschmerzen dazu.

Die oben genannten Beobachtungen KÖNNEN auf ein zu kurzes Zungenband hindeuten. Sie können aber auch völlig andere Ursachen haben bzw. teilweise auch normal sein.

3. Mögliche Folgen eines zu kurzen Zungenbandes

Die Folgen eines zu kurzen Zungenbandes sind sehr weitreichend und sollen hier nur exemplarisch aufgezeigt werden. Sie gehen weit über die Stillproblematik hinaus. Typische Folgen sind insbesondere:

  • Stillprobleme jeglicher Art (siehe Beobachtungen oben). Ein zu kurzes Zungenband führt häufig zu einem verfrühten Abstillen wegen unzureichender Zunahme des Kindes, Schmerzen der Mutter oder einer insgesamt sehr anstrengenden und unausgeglichenen Stillbeziehung. Es ist durchaus möglich, dass das Stillen trotz zu kurzem Zungenband weiter geführt werden kann. Dies liegt häufig an einer sehr reichlichen Milchbildung der Mutter (ohne, dass das Baby in besonderem Maße die Milchbildung anregen muss), Unterstützung der Saugtechnik durch Osteopathen sowie die Möglichkeit sehr häufige Stillmahlzeiten umzusetzen.
  • Probleme in der Beikostzeit jeglicher Art.
  • Sprachschwierigkeiten (es gab bereits Fälle, in denen nach jahrelanger Logopädie erst das verkürzte Zungenband als Ursache gefunden wurde).
  • Zahn- und / oder Kieferfehlstellungen.
  • Vermehrt Karies (weil die Säuberungsfunktion der Zunge nicht funktioniert).
  • Haltungsprobleme, die häufig zu Rücken,- Nacken- und Kopfschmerzen führen.
  • Allgemeine Unzufriedenheit.
  • Schmerzen durch Haltungsprobleme.
  • Atembeschwerden / häufig Atmen mit offenem Mund.
  • Durch die falsche Atemtechnik vermehrtes Auftreten von Hals,- Rachen- und Mittelohrentzündungen sowie Nasennebenhöhlenentzündungen.
  • Schlafbeschwerden durch falsche Atemtechniken und häufiges Schnarchen sowie Apnoen (Atemaussetzer).
  • Gleichgewichtsstörungen.

Dies sind die am häufigsten vertretenen Folgen. Allerdings werden viele Krankheiten / Probleme bisher noch nicht mit dem verkürzten Zungenband in Verbindung gebracht, da die Forschung auf dem Gebiet noch nicht sehr weit ist. Die Liste kann die kommenden Jahre daher durchaus noch länger werden.

4. Wie erkenne ich ein zu kurzes Zungenband?

Hinweise auf ein zu kurzes Zungenband können bereits die oben genannten Beobachtungen geben, sofern einem einige dieser Beobachtungen auffallen und man das Gefühl hat, es stimmt etwas nicht. In diesem Fall sollte man sich die Zungenbeweglichkeit genau anschauen bzw. diese besser sogar durch eine(n) Fachmann/Fachfrau begutachten lassen (wer das ist, dazu unten mehr). Folgende Funktionen sollten bei einer normalen Zungenbeweglichkeit kein Problem darstellen (dies kann durch Ausüben der Reflexe der Zunge durch Zuhhilfenahme des Fingers „untersucht“ werden):

  • Die Zunge kann von einem zum anderen Mundwinkel geführt werden.
  • Das Baby / Kind kann beim Gähnen / Weinen / Stillen den Mund weit öffnen.
  • Die Zunge kann beim Herausstrecken weit gefächert werden (nicht spitz zulaufend).
  • Die Zunge kann über die Unterlippe gestreckt werden.
  • Beim Öffnen des Mundes (insbesondere weinen) bleibt die Zunge nicht flach im Mund liegen (oft mit Grübchenbildung), sondern kann hoch Richtung Gaumen gestreckt werden.
  • Die Zunge kann eine Wellenbewegung ausüben (mit Sichtbarkeit am Schädelmuskel).
  • Das Kind kann über einen längeren Zeitraum an der Brust saugen, ohne das Vakuum zu verlieren und ohne Schnalz- oder Klickgeräusche (diese deuten darauf hin, dass das Baby den Saugschluss verliert).

Folgende Hinweise können ebenfalls auf ein zu kurzes Zungenband hindeuten:

  • Herzförmige Zunge
  • Rutschbahnform der Zunge
  • Ausgeprägte Saugbläschen an der Lippe
  • Ungewöhnliche Zungenformen
  • Das Kind spielt nie außerhalb des Mundes mit der Zunge.

5. Was ist zu tun, wenn einiges dafür spricht, dass das Baby / Kind ein zu kurzes Zungenband hat?

Erst einmal sollte man völlig ruhig bleiben. Eine große Anzahl von Babys kommt mit zu kurzem Zungenband auf die Welt. Es ist also keine problematische Fehlbildung oder ähnliches. Zum genauen abklären sollte ein/e Arzt/Ärztin, Osteopath/in oder eine Stillberaterin mit besonderer Qualifikation in dem Bereich aufgesucht werden. Leider wissen die wenigsten Kinderärzte bzw. Zahnärzte oder Stillberaterinnen überhaupt was ein posteriores Zungenband ist. Erst recht erkennen es viele nicht. Zum Erkennen reicht in der Regel nicht aus, nur einmal kurz in den Mund zu schauen, es erfordert eine ausführliche Anamnese. Man sollte sich daher vorher online bzw. telefonisch informieren ob der jeweilige „Fachmann“ tatsächlich auch ein Fachmann auf diesem Gebiet ist. Sofern ihr hier Hilfestellungen benötigt, meldet euch gerne. Auch raten viele Fachpersonen grundsätzlich von einer Trennung ab, soweit keine schwerwiegenden Probleme ersichtlich sind. Auch solche Ratschläge sollten zumindest mit Vorsicht genossen werden, bzw. sich eine Zweitmeinung eingeholt werden.

Sofern ein verkürztes Zungenband festgestellt wurde (häufig wird dies auch bei längerer Anfahrt zum Arzt direkt mit der Durchtrennung verbunden), sollte man sich Gedanken machen, ob eine Frenotomie (Trennung) in Frage kommt. Ich persönlich würde in den weit überwiegenden Fällen dazu raten, auch wenn aktuell noch keine Probleme aufgetaucht sind. Die Folgen können einfach so weitreichend sein und in die Zukunft reichen, dass dies der sicherste Weg ist. In dem Fall sollte man auch hier wieder einen absolute(n) Fachmann/Fachfrau heranziehen. Dies sind häufig Zahn- und Kieferchirurgen aber auch einige Krankenhäuser und Kinderärzte. Eine Trennung findet mit einer Schere oder einem Laser statt und sollte immer rautenförmig durchgeführt werden. Die Durchtrennung selbst dauert nur einige Sekunden und sollte in jedem Alter ohne Vollnarkose stattfinden (ggf. örtliche Betäubung). Es ist ein vergleichsweise kleiner Eingriff. Viele Kinder beruhigen sich direkt im Anschluss, andere sind noch einige Stunden oder Tage etwas weinerlich. Es kann sowohl vor als auch nach der Frenotomie direkt gestillt werden. Dies ist sogar sinnvoll. Auch Schmerzmittel können ggf. verabreicht werden.

Die genaue Vorgehensweise sowie die Vor- und Nachbereitung sollte mit dem handelnden Arzt und sinnvollerweise auch mit einer Stillberaterin besprochen werden. Es macht Sinn einige Tage vor der Behandlung einen Osteopathen (bzw. Cranio-Sacral-Therapie) aufsuchen und dies auch im Anschluss an die Frenotomie noch mehrmals zu wiederholen. Auch sollten bereits vor der Trennung einige Zungenübungen geübt werden, die dann im Anschluss an die Trennung weiterhin ausgeführt werden. Wie diese genau auszusehen haben sollte man im Vorgespräch mit dem behandelnden Arzt und der Stillberaterin besprechen. Es gibt diesbezüglich auch passende Youtube-Videos. Die Übungen sollten im Anschluss an die Behandlung etwa alle 4-6 Stunden für die kommenden 4-6 Wochen wiederholt werden, um so zu verhindern, dass das Zungenband wieder zusammenwächst. Bei falscher Durchtrennung (insbesondere ungenügender Trennung) bzw. schlechter oder fehlender Nachbereitung kann es durchaus dazu führen, dass eine erneute Frenotomie nötig wird. Meist beheben sich Stillprobleme innerhalb kürzester Zeit, je nach Alter des Kindes ist es aber sehr sinnvoll eine Stillberaterin noch weiter aufzusuchen, um sicher zu gehen, dass das Stillmanagement korrekt ist bzw. die Milchbildung nun weiter angeregt werden kann.

6. Fazit

Das verkürzte Zungenband (insbesondere das posteriore) ist in Deutschland noch ein sehr unterschätztes Problem in der Stillberatung und ebenso in anderen Fachbereichen (Zahn- und Kiederorthopädie, Logopädie, Osteopathie). In anderen Ländern ist die Problematik bereits bekannter und wird auch regelmäßig behandelt. In Deutschland findet man leider (noch) sehr wenige Fachpersonen, sodass die Eltern oft lange Anfahrten in Kauf nehmen müssen. Daher ist eine gute Begleitung durch eine Stillberaterin vor Ort gut und wichtig. Die Frage, ob eine Frenotomie durchzuführen ist, muss die Familie letztlich individuell treffen.